Sonstiges zur Diskussion
Ich habe mich schon (fast) daran gewöhnt, dass der Paketzusteller nicht an meine Haustür kommt, sondern einfach nur einen Abholschein in den Briefkasten wirft. Es sind einige Treppenstufen zu mir herunter. Manchmal sah ich, wie der DHL Lieferwagen vorfuhr, und ich überlegte, ob ich ihn abpassen sollte. Aber dazu wäre ich schnell genug. Außerdem gibt es Fahrer, die zwischendurch doch den Weg zu meiner Tür finden.
Neulich las ich folgende Bemerkung auf dem Abholschein: „WO IST IHRE KLINGEL?!? Was sollen diese Versteckspiele?“ Das war der Hit! Ich las es mehrmals, weil es trotz des Ärgernisses komisch war. Dann wählte ich die Nummer des kostenlosen Service-Telefons der DHL … und beschwerte mich. Bis jetzt fand jeder Pizzaauslieferer an meine Tür und auch meine Klingel. Aber die Paketzusteller haben damit oft ein Problem. Ich nahm bisher an, dass sie einfach zu bequem sind, die Treppen zu mir herunter zu steigen. Doch dieser fand offensichtlich nicht meine Klingel. Ich werde, wenn ich die nächste Paketzustellung erwarte, einen Zettel mit einem aufgemalten Wegweiser an meinen Briefkasten heften plus Angabe der genauen Stufenanzahl.
Ich weiß, dass diese Päckchenausfahrer einen scheiß Job haben – nicht erst seit Wallraffs Undercover-Aktion, über die erst kürzlich u.a. in Stern-TV berichtet wurde. Auch wir Altenpfleger haben einen scheiß Job und werden nicht gerade fürstlich entlohnt, aber ich verstehe jeden Kunden, der sich bei einem miesen Service beschwert. Man muss die faulen Eier in der Service-Landschaft aussortieren. Und die gibt es reichlich! In allen Dienstleistungsbereichen erlebe ich viel zu oft eine Ignoranz dem Kunden gegenüber, die an Unverschämtheit grenzt. Vor allem auch in der Gastronomie. Ich habe das Gefühl, dass man mich als Last empfindet, selbst wenn der Laden beinahe leer ist. Man schaut absichtlich über mich weg, führt, ohne mit der Wimper zu zucken, Privatgespräche weiter, bis man sich nach einigen Minuten zu mir schleppt und nach meinen Wünschen fragt. Da wundert es mich nicht, wenn ihr Geschäft nicht läuft. Einige haben es offensichtlich gar nicht nötig. Dabei sind Freundlichkeit und Aufmerksamkeit dem Gast bzw. Kunden gegenüber das A und O.
Ich bringe viel Verständnis auf für gestresste Bedienungen, Altenpfleger, Krankenschwestern, Verkäufer(innen), Paketzusteller etc., doch nicht immer sind es der Stress und die Überlastung, die den schlechten Service verursachen. Manchmal liegt es einfach daran, dass jemand nicht geeignet ist für den Job, oder es liegt an einer falschen Organisation, an den Chefs, an einem beschissenen Betriebsklima … Vielleicht ist es auch ein Zeichen der heutigen Zeit: Die Menschen sind zu arrogant und selbstgefällig geworden – sie wollen niemanden bedienen, weil sie das mit Unterwürfigkeit verwechseln. Man ist sich dazu zu schade. Man geht mit der Einstellung zur Arbeit, dass man den Job halt machen muss, und der Gast / der Kunde ist ein notwendiges Übel.
Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht (wie gestern Abend) eine halbe Stunde auf ein Getränk und eine Portion Pommes warten will, denn so lange habe ich keine Zeit – mein Nachtdienst beginnt.
Einige werden immer besser sein. Ganz egal, was ich mache. Als ich in der Grundschule Klassenbester war, wunderte ich mich. Ich war es auch nur kurz. Im Gymnasium lernte ich schnell, dass ich (nur) normal begabt war, und es für mich in der Hauptsache ums Überleben, also um das Erreichen des Klassenziels ging. Als jemand, der keine außerordentliche Begabungen hat und zudem nicht sonderlich ehrgeizig beziehungsweise fleißig ist, orientiert man sich am Besten am Mittelfeld – nach der gaußschen Normalverteilung. Wenn es etwas gab, in dem ich in der Schule und später im Beruf gut war, dann darin, mich mit wenig Aufwand und Ehrgeiz durchzuwurschteln. Manchmal hatte ich sogar das Glück, und die Arbeit machte mir Spaß, so dass ich mit meinen Leistungen glänzen konnte, bis meine Motivation durch einen miesen Lehrer oder Arbeitgeber wieder in den Keller rutschte. Ich richtete mich mit den Jahren im Mittelmaß ein. Das fiel mir leicht, und ich gehörte immerhin nie zu den Schlechtesten. Nach unten war noch etwas Raum.
Was ich sagen wollte, was mir heute Morgen im Halbschlaf durch den Kopf ging, war, dass es im Leben schon absolut hervorragend ist, wenn man im großen Pulk des Mittelfelds ins Ziel kommt. Sich an anderen zu messen, kann fatal sein – jeder Mensch hat nun mal ganz andere Voraussetzungen und besitzt an sich einen Wert unabhängig von einem Maßstab, der durch Eltern, Schule und Leistungsgesellschaft angelegt wird. Wer sich ständig mit anderen misst, was Karriere, Geld, Besitz, Kraft und Aussehen angeht, wird nie für sich herausfinden, worin sein Glück oder seine Lebenszufriedenheit eigentlich besteht. Folgen sind Krankheit, Sucht, Gewalt, Depression …
Was lassen wir uns nicht alles einreden, was angeblich zum Glücklichsein gehört(?) Und wie beeinflussbar sind wir doch, ohne dies (kritisch) zu reflektieren.
Wenn das Leben schon eine Art Rennen ist – ein Marathonlauf der verlorenen Seelen oder ein Iron Man der Minderwertigkeitskomplexbeladenen - , wozu dieser kindische Ehrgeiz, zu den Ersten oder Gewinnern zu gehören? Am Besten rennt man gerade so schnell, dass man sich mit den Mitläufern noch unterhalten kann, und dass man noch was von der Umgebung mitkriegt. Wer vorneweg läuft, ist einsam, wer hinterherläuft, ebenso. Das Mittelmaß ist zu unrecht schlecht angesehen. Erst im Mittelmaß finden wir den nötigen Spielraum und die soziale Geborgenheit, die nötige Gelassenheit für Innovationen, Kreativität, Toleranz und Menschlichkeit. Ich stehe zu meiner Mittelmäßigkeit! Sie ist so wunderbar unanstrengend.
Vielleicht verstecke ich mich sogar in der Mittelmäßigkeit. Sei`s drum. Da ich die Leistungsgesellschaft von ihrem Wesen her ablehne, und ich nicht den Mut habe auszusteigen, ergibt sich diese Positionierung quasi von selbst.
Worte fühlen Worte. Menschen fühlen Worte fühlen Menschen. Wo sind die Worte? Wo sind die Menschen? Versickern im Erdreich wie Wasser, um irgendwo wieder hervorzutreten. Sind Worte nichts anderes als die Verwässerung des Menschseins? Und dabei brauchen wir sie so dringend, Tag für Tag. Wir benutzen sie wie eine fünfte Gliedmaße, und wir verstehen sie quasi durch einen Sechsten Sinn. Im Hirn schwimmen die Worte (Wörter) wie Fische in einem Bassin. Ich muss nicht nachdenken. Die Worte kommen zu mir. Alles was ich wahrnehme, wird von Worten dokumentiert. Sogar in Träumen höre ich Worte. Worte oder einfach nur Wörter? Wörter sind wahllos, aber die Grammatik meines Geistes macht aus ihnen Worte, die ich empfinde, die ich aufschreibe. Dies hier sind Worte.
Ich diskutierte heute
auf einem anderen Blog über Kunst. Ich merkte dabei mal wieder, wie wenig
Kunst eigentlich zu fassen ist, aber auch, wie spezifisch eigene Vorstellungen jeder von Kunst hat. Mit den Worten ist es ähnlich. Was nutzen die Worte ohne Verständnis? Darum gibt es jede Menge doofer Missverständnisse, und darum gibt es Übersetzungen aus allen Sprachen. Vielleicht muss man auch manches Kunstwerk übersetzen. Aber da sind wir dann beim Problem des Übersetzens an sich: es kann nicht identisch sein, es muss bereits dann und wann interpretieren, es kann sogar gerade im Falle von Dichtkunst völlig daneben liegen …
Kann es Menschen ohne Worte geben? Kann es die Menschen ohne Kunst geben? Ich glaube, dass die Menschwerdung über die Anfänge des Kunstschaffens zu den Worten und zur kulturellen Differenzierung führte: es kamen die Religion, Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften. Aber die Kunst ist der Mensch schlechthin. Oder in anderen Worten ausgedrückt: Kunst repräsentiert das Menschsein am direktesten.
Die Wörter (die Worte) wirbeln durcheinander. Sie zu sortieren, ist wichtig für den Alltag, aber nicht unbedingt gut für die Kunst, um offen für Inspiration, Intuition und andere kreative Prozesse zu bleiben.
Worte fühlen Worte. Die Leere wird ausgefüllt. Gemeinhin nennen wir das Geist.
Im Glauben an Gott manifestiert sich unsere Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit, einem Zuhause, egal was passiert und wo wir sind. Im Glauben an Gott äußern wir unsere Hoffnung auf ein gutes Leben, in dem sich manche unserer Träume und Wünsche erfüllen; und wir hoffen, dass es ein Leben oder ein Dasein nach dem Tode gibt, wenigstens etwas tröstlicheres als einfach nicht mehr zu sein – für immer und ewig. Es ist schwer zu ertragen, dass mit dem Tod alles aus sein soll. Wir können noch nicht mal das Dasein richtig verstehen noch erklären. Dann kommt hinzu, dass sich jeder Mensch als Individuum fühlt, als etwas ganz eigenes, im Dialog mit der Welt einzigartig. Was macht dieses Mysterium Leben aus? Wieso bleibt es ein großes Geheimnis? Dabei leben wir mittendrin – im Universum, in der Zeit und im Geist des Daseins. Wir rätseln nicht nur über die Welt, wir rätseln über unseren Verstand, über das Bewusstsein selbst. Durch letzteres erfahren wir all dies, stehen im Dialog zu einer inneren und äußeren Welt, sehen Dinge und Erscheinungen, die wir benennen und erforschen, können uns erinnern, können mittlerweile sogar Erinnerungen über viele Generationen mithilfe der Sprache und Medien speichern, - entwickeln Kultur, Kunst und Technik …, und dann der Glaube an Gott, die Religionen, Spiritualität …, Philosophie, Weisheit, Meditation …
Wer soll das alles verstehen? Da hat auch eine durch und durch rationalisierte Welt der Maschinen, der Infrastruktur, der Logistik und der Wissenschaft keine Antwort für. Ich werde die Aussage eines Religionslehrers im Gymnasium nie vergessen – es ist nicht sein Satz, aber durch ihn hörte ich zum ersten Mal: „Je mehr ich weiß, desto mehr erkenne ich, dass ich nichts weiß.“ (Den Satz soll Albert Einstein gesagt haben, googelte ich.)
In Religion hatte ich in der Schule bestenfalls ein Ausreichend. Dabei war ich schon immer sehr interessiert an den letzten Fragen der Menschheit, an den Fragen nach dem Ursprung und dem Sinn des Daseins. Nur wurde darüber im Religionsunterricht wenig offen diskutiert. Schließlich hatte die Kirche bereits eine Antwort auf alle Fragen gefunden – nämlich Gott, oder besser ihren Gott!
Leider befriedigte mich dieses vorgepredigte Gottesbild nicht. Und immer wenn ich etwas nicht verstehe aber trotzdem lernen sollte, wurde ich in dem Fach schlecht. So eben auch in Religion. Dabei hätte es nur wenig Anstrengung von meiner Seite gebraucht, um wenigstens ein oder sogar zwei Notenwerte besser zu stehen. Mein Protest äußerte sich als Missachtung dem Unterricht gegenüber. Es war mir zwar nicht wirklich scheißegal, schlechte Noten zu bekommen, aber mein Trotz war stärker.
Nach wie vor denke ich wie Einstein: „Je mehr ich weiß, desto mehr erkenne ich, dass ich nichts weiß.“ Wir glauben heute sehr viel zu wissen, und viele Menschen denken sogar, dass die Technik für alles eine Lösung parat hat, oder dass es womöglich eine Formel für das Universum gibt. Ich zähle mich zu den Skeptikern: weder bin ich wissenschafts- und technikgläubig, noch glaube ich an einen Gott, wie er von manchen Weltreligionen gesehen und in ihren Schriften erklärt wird.
Glaube ich an nichts? Ich weiß es nicht. Ich weiß besser, was ich nicht bereit bin zu glauben.
„Glaubst du an Gott?“ Diese Frage stelle ich mir oft im inneren Dialog. Und ich spüre, dass da was ist. Schon allein deswegen, weil ich diese Frage immer wieder an mich und die Welt richte.
Das Wort „Gott“ lässt mich nicht los. Es ist damit keine Wertung verbunden. Aber wenn ein scheiß Priester (oder sonstwie Guru), sei es der Papst oder nur ein Gemeindeprediger, von seiner Kanzel zu uns über Gott predigt, - darauf reagiere ich allergisch. Versteht ihr das?
Irgendwie irre, oder? Denn da ist noch was, was sich allem Wissen entzieht, wofür mir dir Worte fehlen oder zumindest ausgehen. Ich brauche nicht daran zu glauben, oder darauf zu hoffen. Es ist da. Einfach da.
Ähnlich hätte ich es auch schreiben können, was Grass in seinem politischen Prosagedicht kritisch zur Haltung des Westens und zur Atommacht Israel sagt.
Israel ist eben nicht immer auf der Seite der Guten, wenn es im Nahen Osten politisch und kriegerisch agiert. Und die Araber sind nicht immer die Bösen. Dieses über Jahrzehnte vor allem im Westen verfestigte Bild ist falsch, - was nicht heißt, dass es umgekehrt ist. Nein. Es ist vielmehr unendlich schwieriger und bedarf einer detaillierten und möglichst objektiven Beobachtung und Reflexion.
Grass sagt in der Tat etwas, was endlich gesagt werden muss.
Ebenso wie der ehemalige amerikanische Präsident Bush während seiner Amtszeit durch sein simples Weltbild und seine kriegerische Aufrechnung mit dem Irak und dem Diktator Saddam Hussein eine Gefahr für den Weltfrieden war, so könnte Israel mit einem Erstschlag gegen den Iran eine Welle von Gewalt und Krieg auslösen, welche weltweit Auswirkungen und Opfer zur Folge hätte.
Natürlich kann man darüber kontroverser Meinung sein, wie man einem Diktator vom Schlage eines Ahmadinedschad (dessen Namen ich mir nie merken werde) zu begegnen ist. Krieg sollte aber, dies sollte uns die Geschichte gelehrt haben, immer die allerletzte Handlungsoption darstellen.
Reicht die Bedrohung, die vom Iran gegenüber Israel und der restlichen Welt ausgeht, bereits aus, um einen Erstschlag zu rechtfertigen? Ich bezweifle das. Aber was weiß ich schon? Was wissen wir über die tatsächliche Situation?
Ich meine, dass der 11. September niemals eine Rechtfertigung sein darf, dass die USA willkürlich Länder überfällt, welchen sie eine Unterstützung der Terrororganisation al Quaida unterstellt. Ebenso wenig darf Israel einen Freischein für kriegerische Aktionen gegenüber seinen Nachbarländern haben. Gerade die zivilisierte westliche Welt sollte von der simplen Unterteilung in Gut und Böse abrücken und näher hinschauen. Bei aller Sympathie und Solidarität für Israel wegen seiner schwierigen (geographischen) Lage und Geschichte, Kritik an der Politik Israels muss möglich sein. Auch von deutscher Seite. So gibt es in Israel eine Menge zionistische Fanatiker, die immer stärkeren Einfluss auf Gesellschaft und Politik nehmen. Aber Israel ist eine Demokratie. Und als Demokratie sollte sich dieses Land beweisen.
Grass in Zukunft die Einreise zu verweigern, ihn zur Persona non grata zu erklären, deutet in meinen Augen nicht auf eine reife demokratische Kultur in Israel hin. Das hat der Literaturnobelpreisträger nicht verdient. Ich halte sein Gedicht keinesfalls für das Zeugnis eines senilen Dichters, der den Realitätssinn verloren habe, wie von einigen gesagt wird, im Gegenteil, Grass beweist mir in diesem Gedicht, dass er sich nicht die Augen zubinden lässt. Er sagt offen seine Meinung über Israel und bricht damit ein lange gepflegtes Tabu in unseren Breiten. Die heftigen Reaktionen zeigen, dass er wohl den Finger auf eine Wunde legte. Er machte etwas, was man nicht offen machen darf. Er sagte etwas, was man in politischen und prominenten Kreisen bestenfalls hinter vorgehaltener Hand sagt. Das gefällt mir! Und sicher ist Grass kein Antisemit. (Und ich auch nicht.)
Vielleicht lese ich nun auch mal seine Bücher.
Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Was_gesagt_werden_muss
zum Gedicht:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809
Ich machte mir noch nie richtig Gedanken über die Großen Zahlen, dabei sind wir umgeben von ihnen. Es fängt schon im Kopf an: Normalerweise haben wir dort ein paar Milliarden Gehirnzellen.
Wie soll man das noch verstehen? Ebenso der Rechner auf meinem Schreibtisch – was sagen mir Mengenangaben wie so und so viel Gigabytes? Ich schaue aus dem Fenster und sehe auf den Wald mit unzähligen Ästen, Zweigen und jungen Trieben. Es ist Frühling. Wenn ich am Abend auf die Anhöhe steige, sehe ich auf ein Lichtermeer der Städte und Großstädte in der Ebene. Zig Millionen Lichter erreichen meine Netzhaut. Und am Nachthimmel funkeln Myriaden von Sternen. Wo bin ich? Ich stehe auf einer Kugel mit über sieben Milliarden Menschenseelen und schaue in den Himmel. Meine Gehirnzellen strecken sich geradezu dem Kosmos entgegen, ohne zu wissen, was das ist. Es ist wie eine Entsprechung. Überall sehe ich diese Entsprechungen in den Fraktalen und in den Großen Zahlen. Die Natur ist voll von ihnen. Ich blicke durch die Welt und durch die Menschen einfach hindurch. Wie soll ich es erklären? Es ist ein Vexierbild: Zum einen sehe ich die schnöde Oberfläche des Alltags, aber zum anderen … ist da ein großes unbekanntes Etwas. Wie ein Gesicht. Es macht mir keine Angst, aber es bleibt rätselhaft. Die Entsprechung ist in mir. Nur das Bewusstsein greift ständig ins Leere. Ich verstehe das alles nicht. Ich bewege mich im Nebel der Ahnungen. Wo stehe ich? Bin ich existent? Oder bin ich nur eine Lachfalte der Natur? Ja, witzig, winzig und armselig. Armselig vor allem in meinem Bemühen, alles verstehen zu wollen.
Ich bestehe aus unzähligen Körper- und Nervenzellen und rede von einem „Ich“. Ist das nicht lachhaft? Wie kommt alles zusammen zu diesem Bild, das ich habe? Warum weine ich, wenn ich in die Welt schaue? Warum weine ich?
Die Großen Zahlen halten mich im Arm und wiegen mich. Wie ein Baby. Sie bekommen Gesichter in meiner Phantasie. Ich vertraue ihnen. Wahrscheinlich ist es das, was man sich unter Göttern vorstellen kann. Ich weiß es nicht. Ich vertraue meiner Ahnung. Was heißt schon „Wissen“ in einer Welt der Großen Zahlen?
Oft höre ich: Uns gehört dies und das, und darum müssen wir verantwortlich damit umgehen. Man sagt solches auch im Zusammenhang mit Natur- und Umweltschutz. Ich dagegen denke: Gerade weil uns die Natur nicht gehört, ist Achtsamkeit und besonderer Respekt geboten. Hat unser Besitzdenken jemals das Verantwortungsbewusstsein gefördert? Im Gegenteil: Mit Menschen, die wir zu besitzen glauben, gehen wir besonders rücksichtslos um. Das ist im Großen eines Staatsgefüges dasselbe wie in der sozialen Keimzelle der Familie. Der Besitz verführt uns zu Respektlosigkeiten, Ausbeutung und Inhumanität. Ich behaupte, dass dies für Pflanzen, Tiere und Personen gleichermaßen wie für Dinge, Bodenschätze und alle ökologischen Ressourcen gilt. Dass man Land, bzw. Boden oder sogar Lebewesen besitzen kann, ist eine völlig abartige Idee. Es ist grotesk und einer vernunftbegabten Kreatur schwer zu vermitteln. Jedenfalls kapiere ich es nicht. Das muss natürlich nichts heißen. Vielleicht bedenke ich eine Sache falsch. Vielleicht ist Besitz für uns Menschen eine eingebrannte, schon lange verinnerlichte Wertvorstellung, ohne die wir nicht mehr leben können und wollen, weil wir uns zu einem guten Teil über unseren Besitz definieren.
Ein paar Dinge möchte sogar ich besitzen: Meine Kleidung, meine Schuhe und ein paar wenige persönliche Dinge. Am Liebsten wäre mir, ich könnte alles in einer Seekiste verstauen. Vieles, was man im Alltag braucht, könnte man genau so gut mit seinen Mitmenschen teilen.
Ich fühle mich frei, wenn ich wenig besitze. Andere fühlen sich frei, wenn sie möglichst viel haben. Wo liegt da der Unterschied im Denken und in der Weltsicht? Warum ticke ich so ganz anders in diesem Punkt als die Mehrheit der Bevölkerung? Ein Klugscheisser könnte freilich sagen: „Wenn Du mehr Geld hättest, dann würdest Du Dir bestimmt auch mehr Dinge zulegen.“ „Ja“, würde ich antworten, „ich würde mit dann die Art von Freiheit leisten können, die mir vorschwebt; aber hundertprozentig würde ich mir nicht mehr Dinge kaufen. Im Gegenteil, durch das Geld könnte ich sogar einige Dinge abschaffen, weil ich sie durch teure Dienstleistungen ersetzte. Sowieso finde ich, dass menschliche Dienstleistungen viel zu wenig Raum und Wert in unserer Gesellschaft einnehmen.“
Nein, ich bin nicht ganz so idealistisch, wie ich hier klinge. Aber tendenziell meine ich es schon so. Meine Sympathien liegen bei den Menschen und Ideologien, welche sich weniger durch Besitz, Macht und Geld definieren sondern vielmehr Menschlichkeit, Gerechtigkeit und soziale Kompetenzen als entscheidende Werte annehmen und in die Praxis umsetzen wollen. Ich weiß jetzt auch, was mir bei der Verwendung des Begriffs Verantwortung in unserer kapitalistisch eingestellten Welt stört: Es geht nicht richtig zusammen, - oder nur, wenn man sich in die Tasche lügt. Verantwortung ist nur dann ehrlich und im besten Sinne zu übernehmen, wenn man sich vom Besitzdenken löst. Verantwortung ergibt sich nicht aus Besitz sondern aus Teilnahme am Nichtbesitz.
Hallo ihr da draußen! Was geht ab? Seid ihr alle da? Ist eine Kugel mit einem Radius von 6378 Kilometern noch eine Kugel? Ist es nicht irre, dass wir auf einer Kugel leben?
Das ist ein Fakt. Ich mache mir oft solche perversen Gedanken über die Welt und die Menschen – weil man gewöhnt sich so schnell an alles, wie es ist, und wundert sich gar nicht mehr.
Als ich durch die Alpen fuhr, schaute ich mir die Berghänge und Gipfel an, als hätte ich noch nie Berge gesehen. Als ich mich verliebte, war es, als wäre es das erste Mal.
Ich laufe einmal rund um die Erde, und ich komme wieder am selben Ort an ... nach ca. 40075 Kilometern. Das ist nicht unendlich weit. Es wäre in einem Leben zu schaffen. Heute umrunden wir ganz selbstverständlich mit Flugzeugen zig mal die Erde. Was denken wir uns dabei? Denken wir überhaupt etwas? Ist das Ganze nicht vollkommen irre?
Ich kann mich nicht sattsehen an der Frau neben mir. Ich kann mich nicht sattsehen an den Bergen, am Mond und den Sternen in der Nacht. Es ist ein Wunder! Die Existenz ist ein Mysterium. Alles. Da stehe ich mitten unter euch. Wir blicken zusammen in die Welt, in unser Leben. Was geht ab? Das Kasperle ist wieder da! Kinderlachen. Kinderweinen. Es ist unsere Bühne, 24 Stunden am Tag. Bliebe ich über der Erde stehen, drehte sie sich in 24 Stunden einmal unter mir weg – mit einer Geschwindigkeit von 1670 Kilometern pro Stunde. Das ist schneller als der Schall.
Rund sieben Milliarden Seelen sind derzeit mit mir auf dieser Reise durchs All. Das Raumschiff Erde ist unsere Heimat. Wir sehen alle denselben Himmel. Wir atmen dieselbe Luft. Und unsere Schicksale ähneln sich.
Ich kann nicht aufhören, die Frau neben mir zu küssen. Das Ganze ist vollkommen irre. Und ich liebe es. Wie kann man es nicht lieben?
Wenn wir alle liebten, ich meine, wenn wir alle liebende Geschöpfe wären, müsste unsere Welt dann nicht viel besser sein? Könnte es so was wie Massentierhaltung geben? Dürfte es Kriege geben? Wäre es möglich, dass wir unsere Mitkreaturen aus Habgier grausam abschlachten? Jeder Mensch, der liebt, könnte doch all diese Brutalitäten und Gemeinheiten niemals zulassen(?)
Was ist falsch an meinem Gedankengang – an diesem harmlosen Mittwoch Ende Februar?
Überanstrenge ich das Wort „Liebe“? Darf man gar nicht so viel von liebenden Menschen erwarten?Oder lieben sie vielleicht nur halb oder gar nicht? Ich kann meinen Mitmenschen nicht mehr trauen. Nur an die Mutterliebe glaube ich. Jedenfalls, was meine Mutter angeht. Es soll auch andere Mütter geben, die ihre Brut am liebsten weggeben würden. Das ist krank, sagt man. Ich sage: Ist nicht irgendwie die ganze Welt krank? Was ist mit der Liebe unter den Menschen? Alles eine Schimäre? Sozusagen eine fixe Idee? Okay, ich will euch nicht auf den Wecker gehen. Es ist, wie es ist. Nobody is perfect. Der Speck hängt zu hoch. Trotzdem springe ich. Ich will ihn wenigstens mit der Nase stupsen. Ich kann unmöglich aufgeben. Es ist mir zu wenig. Ich brauche Ideale wie Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit! Aber nicht, weil es gerade en vogue ist. Nicht weil irgendwer sie verkündet. Was ist mit mir? Was ist mit meiner Liebe? Was taugt sie? Warum fühle ich mich oft ohnmächtig? Wollte ich für die Liebe sterben? Nein. Nein. Nein. Und wieso rege ich mich dann so auf? Wozu dieser Wortschwall? Ich bin eine Dumpfbacke wie alle anderen. Nur bin ich außerdem zu doof, um die Regeln dieses Spiels zu kapieren, das wir Leben nennen. Das ist mein Problem. Scheiß doch auf die Ideale! Es geht um was ganz anderes. Es geht um niedere Instinkte. Seit tausenden von Jahren ist es immer dasselbe. Wir sind heute technisch weiter, aber im Geiste hängen wir lange schon fest - trotz der ganzen Philosophen und Künstler. Mit denen schminken wir uns nur.
Ich bin verwirrt. (Bin ich verliebt?) Ich würde so gern verstehen, wozu wir leiden müssen. Aber ich will keine klerikalen Antworten. Ich suche nach menschlichen Antworten. Oder muss es gleich ins Intellektuelle abdriften? Was nutzen uns die ganzen Geisteswissenschaften? All dieses elitäre Gesocks, was sich nur selbst gefällt … Sie reden über alles. O ja, sie reden. Sie reden. Sie reden einen platt. Hä? Wieso kapiere ich nichts davon? Liegt es vielleicht daran, dass ich einfach ein ganz anderes Weltbild habe? Aber warum? Was sagt ihr zur Liebe? Liebt ihr? Ich weiß – genau so gut könnte ich euch nach euren Füßen fragen. Ihr lauft auf ihnen. Ganz selbstverständlich. Und es hindert euch nicht, böse zu sein. Nein, wieso auch? „Herr Präsident, Sie sind ein liebender Familienvater.“ „Das will ich meinen.“ „Sie gaben gerade den Befehl zum Raketenabschuss.“ „Ja, es musste sein, um unsere nationalen Interessen zu schützen, um unsere fortschrittlichen Ideale von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit nicht von einem barbarischen Feind zerstören zu lassen! Sie können mir glauben, dass mir die Entscheidung nicht leicht fiel.“ „Viele Menschen werden durch die Raketen umkommen, Herr Präsident.“ „Wir müssen uns verteidigen.“ „Rechtfertigt der Zweck die Mittel? Hätten Sie die Raketen auch zum Abschuss freigegeben, wenn im Zielgebiet Ihre Familie wäre?“ „Wenn Sie meinen, dass mir eine solche Entscheidung Spaß macht, täuschen Sie sich gründlich! Es geht um höhere Interessen, um die Erhaltung unserer Zivilisation ...“ „Und die gründet auf was, Herr Präsident?“
Ja, ich weiß, ich bin froh, dass ich nicht Präsident sein muss und nicht vor solchen Entscheidungen stehe. Auf was gründet unsere Zivilisation? Sind dabei Liebe und Mitmenschlichkeit nicht tragend? Sollten sie es nicht sein? Wo sind die Barbaren? Immer auf der anderen Seite.
Ich verstehe dieses Spiel nicht. Ich will es nicht verstehen. Mir wird übel, wenn ich darüber nachdenke. All diese Wortverdreher und Heuchler. Sie spielen mit Menschenleben. Sie sehen nur das Schachbrett. Von Liebe wissen sie nichts. Oder? Glaubt ihr, dass sie etwas von Liebe wissen?
Wahnsinn, was sich auf der toskanischen Insel Giglio nach der Schiffshavarie abspielt. Auf Phoenix läuft eine Doku. Die Einwohner des malerischen Hafenstädtchens Giglio Porto äußern sich betroffen … Der Kreuzfahrt-Koloss liegt wie ein verwundeter, eiserner Leviathan vor aller Augen auf den Klippen. Noch immer werden einige Passagiere vermisst, die wohl kaum noch lebend geborgen werden. Der Kapitän wurde verhaftet. Inzwischen steht er unter Hausarrest. Sein Fehlverhalten ist unfassbar! Nicht nur dass er den Ozeanriesen fahrlässig zu nah an die Küste steuerte, und somit die Kollision mit den Felsen verursachte; er verließ offensichtlich als einer der ersten das sinkende Schiff und ließ lange die Passagiere im Ungewissen über das Ausmaß der Katastrophe, was die Koordination der Rettung erschwerte, und was wahrscheinlich auch die zu beklagenden Todesopfer zur Folge hatte. War es sträflicher Leichtsinn im Vertrauen auf die Technik? Dann erinnert dieses Unglück in der Tat an die Titanic-Katastrophe und an andere Katastrophen, welche ihre Ursachen in einer übermäßigen Technikgläubigkeit haben – gepaart mit menschlichem Versagen in der Krise.
Der Kapitän wird als Schiffsführer die volle Verantwortung zu tragen haben. Aber auch das System, welches ihn stützte, sollte sorgfältig untersucht werden. Es wäre zu einfach, eine solches Unglück allein mit dem Fehlverhalten einer einzelnen Person zu erklären. Ich frage mich, warum sich noch niemand von den Offizieren und anderen Mannschaftsmitgliedern zu dem Desaster aufklärend äußerte. Womöglich erhielten sie „von oben“, also von der Reederei, einen Maulkorb verpasst.
Zu hoffen ist, dass nicht noch viele Tote in dem Wrack liegen. Die Vermisstenzahlen variieren relativ stark. Wer weiß, ob überhaupt alle Besatzungsmitglieder, vor allem Billigarbeitskräfte, gelistet waren.
In einem Interview sagte ein Kreuzfahrtexperte, dass das Unglück des Luxusliners Costa Concordia nicht zu einem Rückgang der Kreuzfahrtbuchungen führte. Die Menschen halten es für ein singuläres Ereignis. Außerdem sind glücklicherweise angesichts von ca. 4200 Menschen an Bord nur relativ wenige Opfer zu beklagen. Die Kreuzfahrtindustrie boomt.
Der monströse Schiffskörper wird, wenn er nicht von den Klippen in die Tiefe rutscht, noch Wochen, wenn nicht monatelang vor der Insel Giglio zu bestaunen sein – zum einen als Mahnmal, und zum anderen als Touristenattraktion. Die Inselbewohner wurden über Nacht aus ihrer winterlich-ruhigen Idylle gerissen …
Ich wusste vorher gar nicht, dass es diese reizende Insel gibt.
PS: Und was den Schaden an der Umwelt angeht, - bisher hört man davon wenig in den Medien.