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Neben mir im Bahnhofsrestaurant an der Bar saß ein Neonazi, ein bulliger Typ. Manche Fressen prägen sich einem ein. Ich hatte ihn vor fünfzehn Jahren vor dem Umbau des Bahnhofsrestaurants kennengelernt. Da war es noch mehr eine Kneipe, und es saßen oft einige zwielichtige Personen darin. Jetzt sah ich dieses Arschloch drei Barhocker neben mir und erinnerte mich. Er war fett geworden. Damals hatte er mich in Gespräche über den Zweiten Weltkrieg, über die Juden, Ausländer und Frauen verwickelt. Ich weiß nur noch, dass er seine üble Gesinnung rhetorisch geschickt formulierte. Er fühlte sich wohl in der Naziideologie, welche die Welt in Ober- und Untermenschen unterteilt.Von seinem Selbstbewusstsein hatte er nichts eingebüßt. Er sprach mich an: „Kennen wir uns nicht?“ „Nein“, log ich unverfroren und vermied es, ihn länger anzuschauen. In der Glaswand gegenüber sah ich, dass er mich immer wieder musterte, und er wiederholte: „Kennen wir uns nicht?“ Er nannte einen Städtenamen. Also er war auf der falschen Fährte. Und ich atmete innerlich auf.
„Nein, ich kenne dich nicht“, wiederholte ich.
„Du bist einem Freund sehr ähnlich, den ich mal hatte“, sagte er.
„Der bin ich nicht, sonst würde ich mich sicher erinnern.“
Ich beeilte mich, mein Weizen auszutrinken. Eigentlich wollte ich noch pinkeln gehen, aber ich befürchtete, dass er mir auf die Toilette folgen würde. Schwer zu sagen, was in solch kranken Köpfen vorgeht. Jedenfalls war der Typ keiner von der doofen Sorte, und darum schätzte ich ihn schon damals für gefährlich ein. Er spürte, wenn er Macht hatte über Menschen und benutzte sie, - vor allem gegenüber Frauen, wie er mir erzählt hatte. Wenn ihm die Worte ausgingen, würde er seine globigen Hände einsetzen, daran zweifelte ich nicht. Ich konnte seine Brutalität förmlich riechen. Nein, ich hatte keine Angst vor ihm. Aber ich verspürte ein Unbehagen wie ein Warnsignal. Angst durfte man nicht haben, denn das merkten diese Typen sofort. Da hatte man gleich verloren.
Ich setzte das Weizenglas ab und verabschiedete mich höflich. Soll er noch ein wenig herumrätseln. Oder er wusste längst, woher er mich kannte. Egal.
Nach einem kleinen Einkauf im Bahnhof ging ich zum Taxistand. Hinter mir lagen acht Stunden Bahnfahrt. Ich war erschöpfter, als ich dachte. Zuhause stellte ich die Reisetasche achtlos auf den Tisch. Ich zog mich erst mal um, machte es mir bequem. Computer ein. Fernseher ein. Plötzlich hörte ich einen dumpfen, lauten Schlag. Die Reisetasche war auf den Boden gefallen, und die gekaufte Weinflasche darin in tausend Scherben zerplatzt; der Rebensaft hatte sich über die Reiseutensilien ergossen. Ich fluchte. Ein Päckchen, das ich für meine Freundin zur Post bringen sollte, war auch weingetränkt. So ein Scheiß, dachte ich verärgert. Im Fernsehen lief „Kleines Arschloch“. Ich war müde und überreizt. Morgen Abend musste ich schon wieder ins Altenheim. Alles stürmte auf mich ein: meine Liebe, die Erlebnisse im fernen Land, unsere Zukunftspläne, die Reise … Ich konnte es schlecht in Worte fassen, ich kann es immer noch nicht richtig ausdrücken. So viel Neues und Schönes passiert derzeit. Ich habe Angst, und will es nicht zugeben. Ich habe Angst, dass ich meine Freiheit verliere. Aber ich will lieben. Doch.






das Lämmchen hat Durst

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