Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache
Der freundliche Bestatter sagte: “Irgendwann hole ich Sie hier raus, und dann können die sehen, wo sie bleiben!” Er hatte mich gefragt, ob ich immer noch alleine in der Nacht sei. Er kann es einfach nicht fassen, dass wir, seit die Bewohnerzahl auf Fünfzig reduziert wurde, fortan die Nächte alleine im Altenheim sind. Auch die Ärztin, die ich wenige Tage zuvor im Haus hatte, um eine Leichenschau vorzunehmen, sagte nur: “Das ist verantwortungslos!” Ich konnte nicht widersprechen.
Zwei Sterbefälle binnen weniger Tage. Bei uns geht es seit vielen Wochen zu wie im Taubenschlag. Bewohner sterben oder ziehen in ein anderes Heim, und die leeren Betten werden mit Kurzzeitbewohnern wieder aufgefüllt. Es darf keine Lücke entstehen. Zimmerbelegung und Personalstand werden vom Träger hart kalkuliert. Wahrscheinlich muss das so sein. Als einfache Pflegekraft habe ich keine Ahnung von diesen betriebswirtschaftlichen Dingen. Ich sehe nur die Überforderung, der wir durch zu wenig Personal ständig ausgesetzt sind, und wie sich alle unter der Belastung ducken und ächzen, es aber auf der anderen Seite nicht offen zugeben können - denn es könnte als Schwäche ausgelegt werden.
Nach fünf Nächten fühle ich mich wie betäubt, innerlich hohl. Zwei Bewohner verstarben. Die Winterzeit bedeutet eine Zäsur für die Alten. Der Tod holt sie zu sich, als wären sie Perlen, die er zu einer Kette auffädelt. Meist sterben zwei, drei Bewohner relativ kurz hintereinander. Es ist, als führe der Tod alle paar Wochen wie ein Wind durch das Altenheim, und die Schwächsten nimmt er mit sich.
Eines Tages wird mich der Bestatter tatsächlich abholen wie jeden von uns.
Das Leben ist vollkommen verrückt und unverständlich. Sisyphusgleich mühen wir uns ab, versüßen unser Dasein mit materialistischen oder spirituellen Wunschträumen, … im Diesseits gefangen. Wir eiern durchs Leben, betäubt von der größten Droge: “Wirklichkeit”. Morgen ist ein neuer Tag, und ich lebe - Fluch oder Wunder?
30x Druckmassage, 4-5cm eindrücken, danach 3x beatmen. Wir erhielten eine Auffrischung und übten an einem Torso. Der Kursleiter war sympathisch - er erklärte uns locker und heiter die Sachverhalte. Letzlich kamen wir auf ethische Probleme zu sprechen, wann denn Menschen noch wiederzubeleben seien, vorallem bei uns im Altenheim. Er meinte, dass wir juristisch immer auf der sicheren Seite seien, wenn wir alles nach bestem Vermögen versuchten. Aber natürlich wären wir in der Situation allein, vorallem als Nachtwache, wo wir nicht mal einen Kollegen/eine Kollegin an unserer Seite haben. Wir sind die ersten vor Ort, die den Tod feststellen - allerdings darf dies faktisch nur ein Arzt, und so bleibt es allein unserer Erfahrung und Einschätzung überlassen, welche Maßnahmen wir einleiten. Im Allgemeinen ist es ja so, dass ich einen Menschen, den ich bereits ohne erkennbare Vitalzeichen vorfinde, nicht mehr auf Teufel komm raus wiederbelebe. Genauso wenig wiederbelebe ich einen alten Menschen im Sterbebett. Juristischen Rückhalt haben wir Pflegekräfte allerdings keinen in solchen Situationen, und meist gibt es auch keine hausinternen Regelungen und Standards, die einem in solch schwierigen Fällen Rückendeckung gäben. Man muss wahrscheinlich schon froh sein, wenn ein Arbeitgeber solche Fortbildungen anbietet.
Ich wünschte mir noch viel mehr Diskussion um dieses heikle und schwierige Thema, damit wir in der Praxis uns nicht durch Vertuschungen und Lügen auf die sichere Seite schummeln müssen. Denn so läuft es mehr oder weniger im Pflegealltag, dass aus der Unsicherheit heraus die Tatsachen geschönt oder gar verdreht werden.
Man muß da schon verflixt aufpassen, wem man die Wahrheit sagt.
Ich weiß, dass es keine Patentlösungen zur Entscheidungshilfe geben wird. Aber ich erhoffe mir insgesamt mehr moralische Unterstützung durch den Arbeitgeber und die Gesellschaft. Es ist für mich als Altenpfleger nicht leicht, mit der Last und der Ungewissheit zu leben, ob ich richtig handelte, wenn es um Leben und Tod geht.
Und leider sind Fehler auch nie auszuschließen ..., - ich lege darum jedem Heimträger in seinen Einrichtungen das Angebot der Supervision nahe. Keine Ausbildung der Welt kann einem die Selbstsicherheit verleihen, damit man stets adäquat und ohne Selbstzweifel in Notfallsituationen agiert. Auch die Sterbebegleitung kommt im Pflegealltag noch viel zu kurz. Fortbildungen und personelle Unterstützung wären unbedingt angebracht. Wie soll ich z.B., wenn ich alleine im Nachtdienst bin, noch eine Sterbebegleitung leisten oder mich um Angehörige angemessen kümmern, die zugegen sind?
Ist es immer eine Geldfrage, wie gesagt wird? Oder ist es nicht auch eine Frage der Einstellung zu diesen Themen, die immer noch gesellschaftlich eher ein Tabu sind?
Mit der Zeit denke ich nach, was “Zeit” eigentlich bedeutet. Dabei diene ich mir selbst als Anschauungsobjekt. Wenn es nicht so furchtbar normal wäre, dass man vor sich hin altert, dass ein Tag nach dem anderen vergeht, wie Dominosteine in einer scheinbar endlosen Reihe umfallen, würde ich meinen, dass alles, meine Erinnerung, meine Gegenwart und das Vorangehen in meine Zukunft, völlig absurd ist. Das Gehirn sublimiert es einfach. Dabei gab es eine Zeit, in der ich nicht existierte - nämlich vor meiner Geburt. Menschen wie meine Eltern oder mein älterer Bruder sind somit lebendige Zeugen meiner damaligen Nicht-Existenz. Ich dagegen weiß nur von einer Welt, die mit mir vorhanden ist. Ältere Menschen haben einen Lebenszeitvorsprung, der in ihrem Leben nie von mir aufzuholen ist. Der Tod vernichtet die Zeugen meiner ehemaligen Nicht-Existenz. Der Tod vernichtet die lebendige Erinnerung. Schließlich stehen wir nur noch vor Artefakten der Vergangenheit. Die ältere Geschichte hat keine lebendigen Zeugen. Alles was wir haben, sind unser Verstand und Vorstellungsvermögen. Die Zeit selbst entzieht sich durch den Tod.
Als junger Mensch findet man es abwegig und surreal daran zu denken, dass die eigene Lebenszeit kontinuierlich wie eine Sanduhr abläuft. Es ist gerade so, als ob immer Tag wäre; und die Nacht, die Dunkelheit bleiben etwas Unvorstellbares. Das Bewusstsein steht im Zenit und strahlt wie eine Sonne auf sich und die Welt. Auch wenn der Verstand durch Erzählungen und Beobachtungen längst weiß, dass nicht nur das Leben der anderen endlich ist, kann und will man nicht begreifen, dass dies auch auf einen selbst zutrifft. Das Leben wirft keinen Schatten - jedenfalls sehen wir ihn nicht an uns.
Ich bin Altenpfleger und sehe häufig den Tod in unmittelbarer Nachbarschaft. Ich erlebte, wie "Zeitzeugen" starben, unspektakulär, manchmal leidvoll im Abschied … Ein Mensch ist tot, und ich lebe noch. Ich weiß, dass die Stunde unweigerlich kommen wird, in welcher ich meinen Frieden mit dem Dasein machen muss - ... dann bin ich einfach nicht mehr da. Einige Menschen werden sich an mich erinnern, bis auch sie sterben. Einige Menschen lesen vielleicht meine Gedichte, wenn ich schon lange nicht mehr existiere. Es ist gespenstisch, wenn Tote durch Medien zu uns sprechen.
Die Zeit kennt nur ein Gesetz: sie vergeht. Und mit ihr vergehen selbst die größten Menschen und hellsten Sonnen. Der Tod ist der Schatten des Lebens in der Zeit. Es gab Momente in meinem Leben, wo ich meinen Schatten ganz nah bei mir fühlte - ich war bereit, zu gehen.
Die Zeit wird im Alter kostbarer, obwohl sie scheinbar immer schneller verrinnt. Es ist ein Witz - da fängt man gerade mit dem Nachdenken an, und schon soll alles vorbei sein …
So ist das. Das Jahr endet im Altenheim. Zum ersten Mal werde ich allein mit 50 Altenheimbewohnern ins Neue Jahr rutschen. Ich hoffe nur, dass ich heute Nacht keine Notfälle habe.
2009 war für mich, was meine Arbeit im Altenheim angeht, mit einigem Übel besetzt. Ich fühle mich müde und auch einigermaßen frustriert in dieser Hinsicht. Es ist ein Kreuz mit der Arbeit - und passend dazu habe ich auch noch Kreuzschmerzen zum Jahresende bekommen. Die oft nicht leichtgewichtigen und immobilen Alten allein in den Betten hoch zu ziehen und zu lagern, bleibt nicht ohne Wirkung.
Und ich werde auch nicht jünger - mitsamt Rücken und Bewegungsapparat. Von meinem Herz und meinen Nerven ganz zu schweigen. Ich merke deutlich die physische und psychische Mehrbelastung, seit wir statt zu Zweit die Nächte alleine meistern müssen. Mir fehlt der Rückhalt des Kollegen (der Kollegin) sehr. Besonders im seelischen Sektor ist das Fehlen eines direkten Ansprechpartners in der Nacht viel nachhaltiger ein Defizit, als man vielleicht zu Anfang meinte. Alles muss man alleine stemmen, und es gibt niemanden, der einen moralisch oder tatkräftig etwas auffängt, wenn man mit einem Bewohner Schwierigkeiten hat, wenn es einem selbst mal nicht gut geht, oder wenn man in akuten Stress- und Notfallsituationen steckt. Natürlich werden wir, seitdem wir alleine den Nachtdienst leisten müssen, deswegen nicht besser bezahlt. Auch von einer Supervision dürfen wir nur träumen. Der Arbeitgeber machte bei einer Bewohnerzahl von 50 einfach einen Schnitt. Es wird gemacht, was gerade noch für die Heimaufsicht tolerierbar ist. Und Kritik wird von oben mit dem “Geld-Argument” platt gemacht, oder es werden subtil die Arbeitsplatzängste der Mitarbeiter ausgespielt. Die Starken sind in diesem Fall jene, die geschickt drum rum reden, schweigen oder sich bei den Vorgesetzten einschleimen.
Ich habe Rückenschmerzen. Zwanzig Jahre Altenpflege verschleißen … in jeglicher Hinsicht. Meine Erfahrung ist einen Scheiß wert. Niemand will Wahrheiten wissen, welche für das eigene Wohlbefinden unbequem oder unerträglich wären.
Mein Resumee: Ein ganzer Berufsstand wird von der Gesellschaft schon seit langem im Stich gelassen. Die Alten und Pflegebedürftigen werden zu ungeliebten und lästigen Objekten. Respekt und Menschlichkeit bleiben auf der Strecke. Es wird geheuchelt und totgeschwiegen.
Ähnlich wie die Soldaten in Afghanistan fühle ich mich als Altenpfleger “an der Front” von der Politik und den Verantwortlichen unverstanden und allein gelassen.
Verflucht noch mal! Ja, es ist Krieg! Und: Ja, es herrscht Pflegenotstand!
Ich wünsche Euch einen guten Rutsch ins Neue Jahr - Gesundheit, Glück und Reichtum …
Alles geht voran!
Euer ewiger Nörgler und Schwerenöter
bon.
(Kohle/Kreide, 680 x 880 mm, 1985)
Das Leben als Nachtwache empfinde ich wie "Zwischen Wellen". Die Nachtwachenblöcke sind die Wellenberge, die beängstigend auf einen zukommen, bevor sie einen emporheben, in ihren Fängen halten ...
Erleichtert schlittere ich hinunter ins Wellental, in meine freie Zeit, doch bevor ich richtig durchschnaufen kann, sehe ich bereits die nächste Welle auf mich zukommen -
Ein Auf und Ab durch die Monate und Jahre, das mich sehr viel Kraft kostete. Manchmal wünsche ich mir wieder einen ruhigeren Seegang für mein Leben. Die Wechsel zwischen Tag- und Nachtleben machen einen ganz kirre. Natürlich gewöhnt man sich mit der Zeit auch an dieses "Geschwanke".
Als ich damals das Bild malte, wusste ich noch nicht, dass ich in der Altenpflege und eines Tages im Nachtdienst landen würde. Ich war mit meiner Freundin nach Frankreich an den Atlantik gefahren. Südlich von Arcachon campten wir, und dort soff ich beinahe ab, während meine Freundin in der Sonne brezelte. Ich hatte Wellen und Meeresströmung unterschätzt.
Wieder zuhause schrieb ich zu diesem Erlebnis eine Kurzgeschichte und malte das Bild.
"Zwischen Wellen" ist, denke ich, eine passende Analogie auf das ganze Leben. Wir werden im Laufe der Jahre ganz schön durchgeschaukelt.
Es gab diese Frau. Sie war nun etwa solange in dem Altenheim wie ich. Als sie zu uns kam, war sie erst Anfang Sechzig. Die Diagnose: Alzheimer. Ich konnte sie noch am Waschbecken waschen. Ich konnte sie noch führen. Und sie redete, wenn auch wirr. Ich kann mich kaum erinnern. Warum verlässt mich mein Gedächtnis? Nach fünfzehn Jahren in dieser Altenpflegeeinrichtung sah ich viele Dutzend Menschen kommen und gehen, leiden und sterben. Diese Frau ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Sie war immer da, und sie blieb die ganze Zeit im selben Bereich - also, sie wechselte immer nur in ein Nachbarzimmer.
Seit über zehn Jahren liegt sie auf einer Wechseldruckmatratze, wird künstlich ernährt, und wenige Stunden am Tag in einen Spezial-Rollstuhl gesetzt. Inzwischen bringt sie nur noch ein Brummen hervor. Ihre Augen zucken nervös, wenn ich ihr die Windel wechsele, wenn ich sie wasche, wenn ich sie von der einen Seite auf die andere drehe. Wie eine Heuschrecke liegt sie mit angezogenen Beinen und angewinkelten Armen im Bett - eine durch die hochkalorische Sondennahrung gut genährte Heuschrecke. Ihr Hautzustand ist gut. Schon lange kann sie wegen der Aspirationsgefahr kein Essen und Trinken mehr schlucken. Ihr Kopf ist durch die Spastik überstreckt, und sie röchelt und hustet oft. Wenn sich zu viel Schleim im Rachenraum ansammelt, saugen wir sie ab. Sie gurgelt und hustet. Ihre Stirn kräuselt sich. Es riecht faulig aus ihrem Mund.
Eine alte Schulfreundin besucht sie noch. Ihre Kinder kommen schon lange nicht mehr, was ich gar nicht werten will. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für mich wäre. Wir reden zu leicht darüber, dass wir unsere Eltern in jedem Fall pflegen und betreuen würden. Wir reden viel, wenn das Leben lang ist.
Diese Frau sagt seit Jahren nichts mehr, und doch sagt sie viel - viel über unser Denken, unsere Heuchelei und den Zustand unserer Gesellschaft. Das Leben dieser Frau ist ein Dahinvegetieren und ein ständiger Kampf gegen den aufsteigenden Schleim. Nur selten sehe ich sie ganz entspannt schlafen.
Morgen, wenn ich Nachtdienst habe, werde ich sie wieder sehen. Alles wird wie immer sein. Wir verlieren selten Worte über diese Frau, nur wenn Medikamente vom Arzt geändert wurden, oder wenn wir sie absaugen mussten. Irgendwann wurde vergessen, ein paar persönliche Bilder von ihr, von ihrer Vergangenheit, nach einem Umzug in ein Nachbarzimmer, aufzuhängen. Und ich - mache auch nichts.
Ich schreibe hier von unserer Menschlichkeit. Ich schreibe von einer innerlichen Zerreisprobe.
Es macht mich wütend, wenn Politiker und Professoren über Ethik diskutieren, währenddessen Menschen allein dadurch gefoltert werden, dass sie am Leben erhalten werden.
um bei hübschen Ausblicken in Biergärten zu relaxen ...

Er war erst zwei Tage bei uns. Die Bereitschaftsärztin war hilflos. Die Rettungssanitäter holten den Notarzt dazu. Sauerstoff, Infusion und Morphium. Zwei Stunden standen wir um das Bett - dann wurde er abtransportiert. Man konnte nicht mehr tun. Es machte auch nicht wirklich Sinn, noch mehr zu tun. Der Tod hatte bereits den Fuß in der Tür und ließ sich nicht mehr zurück drängen. Der Mann starb im Krankenhaus. Ich wusste nicht viel von ihm, nur seine Krankengeschichte. Zwei Nächte hatte ich ihn betreut. Er war sehr unruhig gewesen und schlief nicht ... Ich denke, er spürte sein Ende.
Es macht mich immer wieder betroffen, einen Menschen dort ankommen zu sehen, wo ich, wo wir eines Tages alle enden werden - auf der Schwelle zum Jenseits.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal in diese Situation kommen würde, weder vor noch zurück zu wissen - mich von einem Arbeitgeber, einer Arbeitssituation derart in die Enge getrieben zu fühlen.
Gestern war diese Dienstbesprechung, auf der mir der Herr des neuen kirchlichen Trägers verkündete, dass nur aufgrund meiner langjährigen Betriebszugehörigkeit von einer Kündigung abgesehen wurde. Ich hatte es gewagt, die menschlichen Aspekte meines Fehlers anzusprechen.
Schließlich hob er noch darauf ab, dass er von den Mitarbeitern 100%ige Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber erwarte, und dazu gehöre auch, dass man in seiner Freizeit erreichbar sein müsse. Diese Worte waren eine Steilvorlage für meine PDL, die mir sogleich vorwarf, ich sei nie erreichbar. Jeder Einwand und jede Erklärung meinerseits hätten die Sache nur verschärft.
Es war schwer für mich in dieser Nachtwachenbesprechung die Kontenance zu bewahren. Sie hatten mich durch den Fehler, den ich mir dummerweise aber nicht absichtlich geleistet hatte, siehe
https://abendglueck.twoday.net/stories/5786678/, mundtot gekriegt. Ich bin zum Abschuss freigegeben!
Passiert mir noch ein Fehler, finde ich die Kündigung in meinem Postkasten. Meine Kollegen und Kolleginnen wurden ebenso mit Repressalien bedroht, wenn sie sich nicht in ein "positives Licht" stellen würden. Man würde die Spreu vom Weizen trennen. Wir mußten alle unseren Unmut herunterschlucken - eine bittere Pille für jeden Menschen mit etwas Stolz im Leib.
Am liebsten würde ich alles hinschmeissen, nur um nicht mehr diesen "Laden" betreten zu müssen. Aber das ist nach 15 Jahren Altenpflegetätigkeit im selben Heim gar nicht so leicht.
Es stellen sich mir Fragen wie:
- Wo finde ich ein Altenheim, in dem ich mich einfügen kann; wo menschlicher und respektvoller miteinander und auch gegenüber den Alten gearbeitet wird?
- Will und kann ich überhaupt noch in diesem Beruf arbeiten?
- Brauche ich psychologische Unterstützung? Bin ich Burn-Out gefährdet?
- Macht es Sinn, mir juristische Hilfe zu nehmen?
- Wie sieht das mit meiner beruflichen Zukunft bis zur Rente aus (noch ca. 2o Jahre?
...
Ich fühle mich wie gelähmt, als würde eine riesige Last auf meiner Brust liegen.
Liebe Leute, werdet nur nicht Altenpfleger, außer ihr seid altruistisch (u.o. masochistisch) veranlagt. Ich erinnere mich noch gut, wie mir eine alte Kollegin vor 20 Jahren sagte: "In unserem Job stehst du stets mit einem Bein im Gefängnis." Und mit der PDL diskutierte ich vor Jahren auf einer Betriebsfeier, wie viel Engagement und Selbstaufgabe von einem Altenpfleger zu erwarten sei. Sie vertrat die Meinung, man müsse, wenn ein Engpass besteht, selbst mit dem Kopf unterm Arm noch zur Arbeit erscheinen. Ich erwiderte, wir seien doch nicht Soldaten an der Front!
Heute, an einem meiner letzten Urlaubstage, bekam ich Post von meinem Arbeitgeber. Inhalt war eine Abmahnung. Zur Vorgeschichte: Vor einem Monat stürzte eine Bewohnerin unglücklich in meiner Nacht. Ich fand sie beim 2. Rundgang blutüberströmt vor ihrem Bett. Dummerweise hatte ich am Abend vorher beim 1. Rundgang vergessen, ihr Zimmer zu kontrollieren; und so war die arme Frau viele Stunden hilflos, da das Unglück sich wohl bereits am Vorabend ereignet hatte. Ihr könnt euch vorstellen, was für Vorwürfe ich mir machte ... Ich war von "Klingeln" anderer Bewohner abgelenkt gewesen und vergaß danach ganz die Ecke zu kontrollieren, in welcher die betroffene Bewohnerin ihr Zimmer hat. Bei ihr war pflegerisch in der Nacht nichts zu machen, und so entdeckte ich die Misere erst in den Morgenstunden beim 2. Rundgang.
Glücklicherweise erholte sich die Bewohnerin inzwischen wieder. Sie hatte viel Blut verloren, und ihr Leben stand anfangs auf der Kippe. Ihr könnt mir glauben, dass ich mich ziemlich mies fühlte (noch mies fühle, wenn ich an diese Nacht zurück denke).
Wie ich in einem meiner Beiträge vor ca. drei Monaten schrieb
https://abendglueck.twoday.net/stories/5590956/, müssen wir wegen gesunkener Bewohnerzahlen die Nächte seit 01.05.09 alleine arbeiten. Das macht die Organisation der anfallenden Arbeiten nicht gerade leicht, zumal wenn es viel klingelt. Ich glaube, der Fehler wäre nicht passiert, wenn wir noch zu Zweit in der Nacht gewesen wären. Nein, ich möchte damit gar nichts entschuldigen. Ich stehe zu meiner Verantwortung und schrieb meinem Arbeitgeber, bevor ich in Urlaub fuhr, die gewünschte Stellungnahme zu den Ereignissen.
Über die Abmahnung ärgere ich mich, weil mir darin einfach alles aufgeschultert wird. Wie sieht es denn mit der Verantwortung meiner Vorgesetzten aus, die von heute auf morgen quasi übergangslos den Nachtdienst mit nur einer Wache einführten? Wie sieht es mit deren Verantwortung aus, wenn sie weglaufgefährdete Menschen aufnehmen, woraufhin in den letzten Jahren zwei Bewohner zu Tode kamen? Ich erfuhr keinerlei (psychische) Unterstützung nach der verhängnisvollen Nacht, obwohl ich moralisch, wie sich jeder vorstellen kann, ziemlich in den Seilen hing. Stattdessen flatterte diese Abmahnung herein und versüßt mir nun den Rest meines Urlaubs.
Ja, als Altenpfleger stehst du an der Front. Sie verheizen dich. Wenn du versagst, kriegst du von den Vorgesetzten in den Arsch getreten oder wirst ausgetauscht. Was du bisher für die alten Menschen und das Altenheim geleistet hast, zählt nicht.
Die Arschwischmaschine ist zurück in der Realität.