Herta Müller über den "Fremden Blick"
(nachdem sie bemerkte, dass sie bis in ihre Wohnung vom rumänischen Geheimdienst "Securitate" ausspioniert wurde)
"In diesem Alltag ist der Fremde Blick entstanden. Allmählich, still, gnadenlos in den vertrauten Straßen, Wänden und Gegenständen. Die wichtigen Schatten streifen herum und besetzen. Und man folgt ihnen mit einem Sensorium, das immerzu flackert und einen von innen verbrennt. So ungefähr sieht das dumme Wort Verfolgung aus. Und dies ist der Grund, weshalb ich es beim FREMDEN BLICK, wie man mir ihn in Deutschland bescheinigt, nicht belassen kann. Der Fremde Blick ist alt, fertig mitgebracht aus dem Bekannten. Er hat mit dem Einwandern nach Deutschland nichts zu tun. Fremd ist für mich nicht das Gegenteil von bekannt, sondern das Gegenteil von vertraut. Unbekanntes muß nicht fremd sein, aber Bekanntes kann fremd werden."
(aus "Der Fremde Blick" in der Essay-Sammlung "Der König verneigt sich und tötet" von Herta Müller)
bonanzaMARGOT
- 30. Jul. 12, 14:31
- Was ich lese
Anja Pia